L. Aennaeus Seneca

 

Vita

 

4 v. Chr. geboren in Cordoba (Spanien)
• Sohn von Helvia und Lucius Annaeus Seneca (Seneca dem Älteren)
• Älterer Bruder Gallio war Proconsul in Achaia
• Ausbildung in Rhetorik und stoischer Philosophie in Rom
• Erfolge als Redner und Schriftsteller
• Unter Kaiser Claudius des Ehebruchs mit Livilla angeklagt und nach Korsika verbannt
• Nach Heirat Claudius und Agrippina Wiederkehr nach Rom und Anstellung als Erzieher des Sohnes Nero
54 n. Chr. wird er zusammen mit Sextus Afranius Burrus Neros Berater
65 n. Chr.: Anklage, an der Verschwörung des Piso beteiligt zu sein
• † 65 n. Chr.: Ohne Gerichtsurteil von Nero gezwungen, Selbstmord zu begehen (Hierüber berichtet Tacitus in Annales XV, 61)
• Senecas Frau Pompeia Paulina wurde zum Weiterleben gezwungen, obwohl sie mit ihrem Mann sterben wollte.
• Seneca war ein Onkel des Dichters Lucan.
 

 

Philosophie

 

Seneca beschäftigte sich mit der rechten Lebensführung (Ethik). Seiner Meinung nach ist die Gelassenheit die höchste aller Tugenden („Summum bonum esse animi concordiam.“ De Vita Beata, VIII, 6). Die Vernunft sah er als „Teil des göttlichen Geistes, versenkt in den menschlichen Körper“ (an mehreren Stellen seiner Werke erwähnt: Ep. 41,5; Ep. 65,16; Ep. 61,12). Die Pflichterfüllung war für ihn der Dienst am Menschen. Dies bedeutete, dass in seinen Augen jeder verpflichtet ist, Gutes zu tun (wie er in seinem Werk "De Beneficiis" beschreibt). Er gehört neben Marc Aurel und Cicero zu den wichtigsten Vertretern der römischen Stoa.
Die Stoische Philosophie beeinflusste maßgeblich die Entwicklung der Ethik.
 

Werke

 

• Seine Werke verstand er als Anleitung zur praktischen Lebensgestaltung
• Im Einzelnen: Eine Satire; ein meteorologisches Essay; verschiedene philosophische Schriften; 124 Briefe, die sich mit moralischen Fragen befassen; neun Tragödien (eine weitere wird ihm zugeschrieben, "Octavia"); seine Reden, die ihn seiner Zeit berühmt machten, sind nicht erhalten geblieben
• Ein gefälschter Briefwechsel mit dem Apostel Paulus tauchte im 4. Jahrhundert auf.
• Seine Schauspiele hatten großen Einfluss auf die tragischen Dramen der Renaissance.
• Er schrieb seine Werke in einem knappen, klaren und deutlichen Stil, manchmal unter Verwendung eines scharfen Tones. In seinen Werken findet man häufig rhetorische Fragen sowie kurze Aphorismen. Auch verwendet er oft überzeugende Metaphern, um nach der Formulierung von These und Antithese dem Leser sein Denken zu verdeutlichen.
 

Literatur:
• www.wikipedia.de
• www.die-lateinseite.de
• www.lateinservice.de
• Das moderne Lexikon, Band 17: Schum - Stech, 1972
• Seneca, De Providentia, Ein Kommentar, von Annrose Niem, 2002

Verfasser: Daniel Leicht
Latein LK 12 (2006/07)

 


Epistulae morales ad lucilium

 

Die epistulae morales ad Lucilium des römischen Stoikers Seneca sind formal eine Sammlung von 124 Briefen des Dichters und Philosophen an seinen Freund, den Staatsmann Lucilius Iunior aus Kampanien.
Jeder dieser Briefe beginnt mit der Phrase: Seneca suo Lucilio salutem. (Seneca grüßt seinen Lucilius.) Und endet mit: Vale. (Lebe wohl!)
Inhaltlich lassen sich die Briefe in drei Kategorien einteilen:

 

1.)   Stoische Grundlehren: z. B. ep. 92 (Das Lebensziel) oder ep. 124 (Erkenntnis und Unterscheidung des Sittlichguten)

2.)   Ratschläge zur Lebensführung und Selbsterziehung: z. B. ep.1 (Der Wert der Zeit) oder ep. 7 (Gefahr der Vermassung)

3.)   Alltagsleben/ Zeitspiegel: z. B. ep. 86 (In der Villa des Scipio)

 

Der Adressat dieser Briefe, Lucilius Iunior, wurde im Jahre 6 n. Chr. in Kampanien als Sohn einer nach römischen Verhältnissen wenig einflussreichen  Familie geboren, stieg jedoch durch eigenes Geschick und einflussreiche Gönner in den Rang eines eques auf. Den Zenit seiner Karriere erreichte er 63/ 64 mit der Prokuratur in Sizilien. Neben dem regen Briefverkehr, von dem allerdings keine Briefe von Lucilius an den zehn Jahre älteren Seneca erhalten sind, werden Lucilius einige Gedichte zugeschrieben, in denen die Figur eines gewissen „Seneca“ vorkommt.
Senacas
Gründe zum Schreiben der epistulae morales scheinen zum einen die Darstellung der stoischen Philosophie und zum anderen die „Erziehung“ des Lucilius in derselben gewesen zu sein.

 

Quellen:
www.wikipedia.org

Seneca, Ad Lucilium epistulae morales (Textausgabe), Aschendorff, 1966.

Verfasser: Pascal Bredenbröker
Latein LK 12 (2006/07)


 

Interpretation

 

Seneca, epistulae morales 7

 

Version 1 Version 2

 

 

Bei Epistula 7 aus den Epistulae morales ad Lucilium des römischen Stoikers Seneca (4 v. Chr.-65 n. Chr.) handelt es sich um einen Brief, der sich mit der Gefährdung des Charakters innerhalb einer großen Masse von Menschen befasst. Er ist an Lucilius Iunior gerichtet, der wahrscheinlich ein Freund und Schüler Senecas war, dessen Existenz jedoch umstritten ist. Entstehungszeitlich sind diese Briefe zwischen 62 und 65 n. Chr. einzuordnen.

Der Text gliedert sich formal in 12 Kapitel, inhaltlich in vier Abschnitte:
Im ersten Teil des Briefes, der die ersten beiden Kapitel umfasst, warnt der Autor seinen Schüler vor der Gefahr der „Masse“ (lat. turba von turbare = verwirren). Denn, wenn man sich unter Leute begibt, wird der Charakter durch die schlechten Eigenschaften der Mitmenschen beeinflusst und dadurch schlechter. Seneca vergleicht diesen Vorgang mit einem Rückfall in eine lange Krankheit ([...] quorum animi ex longo morbo reficiuntur., Kapitel 1). Um seine Thesen bis dahin zusammenzufassen, kommt Seneca in Kapitel 2 zu dem Fazit: „Je größer das Volk ist, dem wir uns mischen,  desto größer ist die Gefahr.“ (utique quo maior est populus, cui miscemur, hoc periculi plus est., Kapitel 2)
In Kapitel 3-5 bringt Seneca ein Beispiel für den moralischen Verfall durch den Einfluss der Masse anhand eines Zirkusbesuches, bei dem die Zuschauer den Kämpfenden zujubeln und sie anfeuern, bis zum Tod zu kämpfen.
Die Kapitel 6-8 beschreiben, dass selbst im Charakter gefestigte Personen sich nicht dem Einfluss der „Masse“ entziehen können und früher oder später diesem erliegen. Des Weiteren gibt er  Ratschläge, wie mit der „Masse“ umzugehen ist.
Im letzten Teil (Kapitel 9-12) versucht der Autor anhand von Zitaten bedeutender Denker wie Demokrit und Epikur, die zu einem späteren Zeitpunkt erläutert werden, eine Lösung des Problems zu finden:
Der Mensch soll nicht für ein großes Publikum, sondern für sich selbst lernen und handeln, besonders indem er anderen etwas beibringt. Hieraus entsteht eine Wechselbeziehung zwischen Lehrer und Lernendem, die für beide von Vorteil ist (mutuo ista fiunt, et homines, dum docent, discunt., Kapitel 8).
Zur Erläuterung des zweiten Teils muss angemerkt werden, dass es in der frühen Kaiserzeit üblich war, verurteilte Verbrecher in der Arena gegeneinander oder gegen Tiere bis zum Tode zur Belustigung des Volkes kämpfen zu lassen. Dies fand meist ohne Schutz statt (non galea, non scuto, repellitur ferrum., Kapitel 4) und bedeutete oftmals den sicheren Tod. Die Spiele wurden staatlich gelenkt und finanziert, um die Gunst des Kaisers beim Volk zu sichern.
Des Weiteren erwähnt Seneca im vorliegenden Text  einige antike Persönlichkeiten: Sokrates, Cato und Laelius gibt er in Kapitel 6 als Beispiele für Standhaftigkeit, eine wichtige altrömische Tugend, an. Sokrates (469-399 v. Chr.) war einer der bedeutendsten griechischen Philosophen und galt schon in der Antike als einer der größten Freidenker. Cato (der ältere) (234-149 v. Chr.) war ein bekannter Feldherr und Staatsmann der römischen Republik und gilt bis in die heutige Zeit als ein Musterbeispiel für Standhaftigkeit. Laelius, ein republikanischer Feldherr, besiegte 202 v. Chr. die Nubier. In Kapitel 10 und 11 zitiert Seneca Demokrit und Epikur. Der griechische Philosoph Demokrit (460-371 v. Chr.) gilt als Vater der Atomtheorie und galt als einer der größten antiken Naturphilosophen. Und  selbst Epikur (341-270 v. Chr.), der als Begründer der gleichnamigen Epikureer eine völlig andere Philosophie vertrat, wird hier zur Unterstützung der Thesen Senecas zitiert.

Seneca versucht mit diesem Text seine Kritik an Massenereignissen (wie zum Beispiel Gladiatorenkämpfen) und deren schlechtem Einfluss auf das Individuum auszudrücken und Lucilius vor eben diesem warnen. Hierin zeigt sich die stoische Grundeinstellung Senecas, sich von negativen Affekten der Seele und Dingen, die jene erwecken, fernzuhalten. Als negativ galten u. a. Gefühle wie Hass, Begierde, Furcht oder Vergnügungssucht. Dies lässt sich anhand zahlreicher rhetorischer Mittel im Text selbst aufzeigen und beweisen. Unter Zuhilfenahme einer Anapher in Kapitel 1 (aliquid ex eo [...]; aliquid ex iis, [...].) drückt der Autor die nachteilige Wirkung der Masse (lat. turba) auf den geordneten (quod composui, Kapitel 1) Charakter eines Einzelnen aus. Auf diesen wirken die Affekte, die der Stoiker als Krankheit der Seele meiden will (quae fugavi, Kapitel 1), durch die turba ein. In Kapitel 3 betont Seneca das Ergebnis dieses schlechten Einflusses durch eine Klimax: avarior [...], inhumanior [...].. Hier steigern sich die Laster von Gier über Ehrgeiz und Genusssucht bis hin zu Grausamkeit und Unmenschlichkeit. Er schließt diese Klimax mit einem Paradoxon [...] inhumanior, quia inter homines fui., das noch einmal die Unnatürlichkeit des Entstehens dieser Eigenschaften aufzeigen und dem Leser wiederum den Grundgedanken des Briefes vor Augen führen soll. Ab Kapitel 4 bringt Seneca als ausführliches Beispiel der negativen Wirkung der Masse einen Zirkusbesuch, bei dem Verurteilte in der Arena kämpfen. Seine Abneigung gegen diese Form von öffentlicher Hinrichtung zur Belustigung des Volkes zeigt sich hier anhand rhetorischer Fragen: quo munimenta? quo artes? (Kapitel 4). Hier drückt der Autor seine Verachtung gegen die damals übliche Praxis aus, Verurteilte ohne jeglichen Schutz und Ausbildung in den Kampf und den meist damit verbundenen qualvollen Tod zu schicken. Im folgenden Kapitel 5 zeigt der Autor anhand von makaberen Zitaten der Zuschauer dieser Kämpfe (quare tam [...] libenter moritur?) die Reaktionen dieser auf die Geschehnisse in der Arena. Hierdurch drückt er erneut seine Abscheu gegen die Spiele aus. Durch die rhetorische Frage (quid tu accidere [...] factus est impetus.) in Kapitel 7 verdeutlicht er, dass es nicht möglich ist, sich diesem Einfluss der Masse zu widersetzen. Er zeigt jedoch, dass es dennoch eine positive Wechselwirkung für den Charakter geben kann, indem man mit Personen verkehrt, denen man etwas lehren kann, wobei man selbst etwas lernt, und umgekehrt (mutuo ista fiunt, et homines, dum docent, discunt., Kapitel 8). Durch die Zitate von Demokrit, sowie eines unbekannten Autor und Epikur in Kapitel 10 (unus mihi pro populo est, et populus pro uno. / satis sunt mihi pauci, satis est unus, satis est nullus. / haec ego non multis, sed tibi; satis enim magnum alter alteri theatrum sumus.). Außerdem kommt Seneca durch eine weitere rhetorische Frage in Kapitel 12 (ecquid habes, [...] intellegant multi?) zu dem Schluss, dass es für den Menschen nicht wichtig ist, von vielen gerühmt zu werden, sondern dass wenige Menschen, die einen wirklich kennen und achten, wesentlich wertvoller für die Entwicklung des Charakters sind. Hier kommt ein weiteres Mal die stoische Lebensphilosophie Senecas zum Vorschein, in der die autarkia (gr. Selbstständigkeit) eine große Rolle spielt.

Abschließend lässt sich sagen, dass Seneca in diesem Brief die Absicht verfolgt, seine stoisch geprägte Abneigung zur Masse und deren Einfluss auszudrücken, ja sogar eindringlich davor zu warnen. Er möchte zeigen, wie verderblich die Auswirkungen der Masse sind, und versucht Lösungsmöglichkeiten für den Stoiker anzubieten. Er lehnt es ab, sowohl sich mit ihr zu verfeinden, weil der Hass in der stoischen Philosophie als Krankheit der Seele gilt, als auch sich ihr anzupassen. Stattdessen schlägt er vor, den Freundeskreis so auszuwählen, dass eine wechselseitige Schüler-Lehrer-Beziehung entstehen kann. Somit können beide Seiten voneinander lernen. Trotzdem sagt Seneca auch, dass es sich ebenso lohnt, für sich selbst zu lernen. Es ist für ihn nicht nötig, sich vor der großen Masse zu profilieren. Somit wird offenbar, dass Seneca in diesem Brief seine stoische Lebensphilosophie vermitteln will.

Verfasser: P. Bredenbröker, M. Schlick, F. Wenzel
Latein LK 12 (2006/07)

 


Interpretation

 

Seneca, epistulae morales 7

 

Version 2

 

In dem Brief Epistula 7 aus den Epistulae morales von Seneca warnt dieser seinen Freund und Schüler Lucilius vor der „Gefahr der Vermassung“.
Hierbei lassen sich fünf Sinnabschnitte benennen. Er beklagt zuerst den vollständigen Verlust von Anstand und Moral (Quid ... plus est [1, 2]). Nun wird Seneca konkreter und führt ein Beispiel an, in dem es um die vom Volk geforderten Arenakämpfe geht, die zu einem reinen Menschenmord geworden sind (Nihil vero ... vacat harena [2-4]). Im dritten Sinnabschnitt geht Seneca noch mehr ins Detail und nennt einige Ausrufe der Zuschauer um deren Verhalten deutlicher zu machen. Seiner Meinung nach wären selbst Cato, Laelius und Sokrates nicht dazu in der Lage gewesen, sich der Gefahr der Vermassung zu entziehen. Er gibt weitere Beispiele, wie genau die Masse Einfluss nimmt und stellt klar, dass man sie entweder nachahmt oder verschmäht: Beides aber sei nicht wünschenswert (Sed latrocinium ... discunt [5-8]).  Im nächsten Abschnitt fängt er an, Verbesserungsvorschläge zu machen: Er sagt Lucilius, dass nicht die gesamte Masse fähig ist, auf hohem Niveau Gespräche zu führen (Non est quod ... didicisti [9]). Im letzten Sinnabschnitt führt er dazu drei Beispiele an, dass man nicht mit der breiten Masse kommunizieren muss, sondern dass es reicht, sich mit wenigen Auserwählten zu beratschlagen (Sed ne soli mihi ... Vale. [10-12]).
Über den ganzen Text verteilt finden sich zahlreiche Hinweise auf Senecas Zugehörigkeit zu den Stoikern. Denn es ist die von den Stoikern so geliebte Tugend, seine Gefühle und Leidenschaften ganz der Rationalität unterzuordnen, die Seneca immer wieder anführt. Ein erstes Beispiel findet sich bereits im ersten Abschnitt: aliquid ex eo, quod composui, turbatur. Er macht hier eindeutig fest, dass er es nicht schätzt, wenn er durch andere verändert wird. Er will viel lieber sein eigener Herr sein, denn die breite Masse verändert ihn auch gegen seinen Willen (nemo non aliquod nobis vitium aut commendat aut inprimit aut nescientibus adlinit [2]).
Nun lässt sich die Frage stellen, was die Gefahr der Vermassung eigentlich ist und was er als Stoiker an ihr so gefährlich findet.
Am Anfang des Textes stellt er die Frage, was man am meisten meiden sollte (Quid tibi vitandum praecipue existimes, quaeris? [1]). Da wir die Existenz eines Lucilius nicht beweisen können, können wir davon ausgehen, dass Seneca sich diese Frage selbst gestellt hat. Er beantwortet sie im Folgenden mit einer Ellipse: Turba.
Er geht davon aus, dass wann immer man mit anderen Menschen Umgang hat, sie einen, bewusst oder unbewusst, zum zumeist Schlechteren beeinflussen (nemo non aliquod nobis vitium aut commendat aut imprimit aut nescientibus adlinit [2]). Mit einem Komparativ macht er deutlich, dass sich dabei die Größe der Beeinflussung proportional zur Größe der Masse verhält (utique quo maior est populus, cui miscentur, hoc periculi plus est. [2]). Er beklagt allerdings nicht nur die Beeinflussung durch die Masse, sondern auch das Verhalten der Menschen in dieser. Nun führt er ein Beispiel an, indem er erläutert, wie er einmal das Verhalten der Menschen während einer Arenavorstellung beobachtet hat. Seiner Meinung nach verlieren die Menschen dabei jeglichen Anstand und alle Vorstellungen von Moral. Senecas Vorstellung eines Arenakampfes entspricht nicht mehr der Realität. ([...] exspectans et sales et aliquid laxamenti, [...], contra est, […], misericordia fuit. Nunc omissis nugis mera homicidia sunt. [3]). Während er geordnete Fechterpaare erwartet, bekommt er nur Blutbad und Menschenmorde zu sehen (hoc plerique ordinariis paribus et postulaticiis praeferunt. [4]) Um die Niveaulosigkeit dieser Kämpfe darzustellen stellt er drei rhetorische Fragen: Quidni praeferant?, Quo munimenta?, Quo artes? [4]. Im Gegensatz zu Seneca ist die Masse der Zuschauer von dem Spektakel begeistert. Dies macht er deutlich, indem er Zuschauerrufe zitiert wie z. B. „occide, verbera, ure! [5]. Noch ein Beispiel der Zuschauerrufe führt er als Sarkasmus an: quare parum audacter occidit? [5]. Die Begeisterung der Zuschauer geht soweit, dass sie nicht einmal eine Unterbrechung der Morde dulden wollen (interim iugulentur homines, ne nihil agatur. [5]).
Seneca beschreibt die Gefahr der Vermassung als so groß, dass nicht einmal so große Philosophen wie Socrates, Cato und Laelius sich ihr entziehen können. Es gibt verschiedene schlechte Eigenschaften, die von der Masse übertragen werden, wie z. B. der Luxus, die Begierde, etc. (convictor delicatus paulatim enervat et emollit, vicinus dives cupiditate, inritat, malignus comes quamvis candido et simplici rubigniem suam adfricuit; [7]). Schließlich gibt er zwei Möglichkeiten an, um der Unsittlichkeit entgegenzutreten: Zum einen das Nachahmen zum anderen das Hassen (aut imiteris aut oderis [7]). Allerdings hält er keine der beiden Möglichkeiten für erstrebenswert (utrumque autem devitandum est [8]), da man sich weder der Masse anpassen, noch sich ihr zum Feind machen sollte. Als einzige Lösung sieht Seneca, dass man sich so weit als möglich in sich selbst zurückzieht und nur mit diesen austauscht, die man belehren kann. Dabei kommt es zu einer Wechselwirkung, die er mit einer Alliteration verdeutlicht (dum docent, discunt. [8]).
Es bringt nichts, sich der Masse zu verkaufen, selbst wenn man geeignetes Gedankengut anzubieten hat, da es niemanden im Volke gibt, der angemessen mit ihr umgehen kann (Nemo est, qui intellegere te possit. [9]). Dennoch ist es nicht vergebens zu lernen, da man um seiner selbst Willen lernen sollte (Non est quod timeas, ne operam perdideris, si tibi didicisti. [9]).

Im Folgendem belegt er dies an drei Zitaten:

Er meint also, dass Wenige genug sind um sich mit diesen auszutauschen. Zum Abschluss sagt er dann, dass Lucilius sich nicht gefallen sollte, weil er anderen gefällt, sondern wenn er sich  gefällt [12].

Seneca sieht also in der Masse eine große Gefahr. Bewegt man sich in ihr, so wird man zum Negativen hin beeinflusst, auch gegen den eigenen Willen. Dabei beklagt er besonders den Verlust von Anstand und Moral sowie von jeglichen Werten. Dieses Problem ist auch in den heutigen Tagen noch immer aktuell, denn z. B. in Fußballstadien findet man auch heute noch ein exzessives Verhalten, was die Leute nur im Schutze der Masse und in der daraus folgenden Anonymität an den Tag legen.
Seneca hat für dieses Problem einen Lösungsvorschlag: Man soll sich nicht mit allen Menschen der Masse umgeben, da diese einen bewusst oder unbewusst zum Negativen hin beeinflussen. Stattdessen schlägt er vor sich nur mit einer kleinen Auswahl von Personen auszutauschen, welche einen zum Positiven hin beeinflussen können und die man selbst zum Positiven hin beeinflussen kann.
Findet man diese Auswahl nicht, so ist es immer noch besser sich mit niemanden zu umgeben als mit der breiten Masse.

Verfasser: O. Bley, D. Leicht, J. Salewski
Latein LK 12 (2006/07)


 

Interpretation

 

Seneca, epistulae morales 61

 

Version I

 Version II

Version III

 

Der vorliegende Brief epistula 61 aus den „epistulae morales ad Lucilium“, welcher von dem Philosophen Seneca verfasst worden ist, beschäftigt sich mit dem Tod aus stoischer, und damit auch Senecas, Sicht. Die Briefe sind zwar an Lucilius gerichtet, richten sich gleichwohl aber auch an die Gesellschaft und das römische Volk. Zwischen Lucilius und Seneca besteht ein Schüler – Lehrer – Verhältnis, welches sich durch Fragen von Lucilius' und Belehrungen von Senecas' Seite aus zeigt.

Den Brief kann man in vier Sinnabschnitte gliedern.

Im ersten Abschnitt (Kapitel 1) wird der Leser auf den kommenden Text vorbereitet, mit der Absicht Senecas konfrontiert und mit der These vertraut gemacht, bevor er zum nächsten Abschnitt übergeht (Hoc animo tibi hanc epistulam scribo [...]“). Der Schwerpunkt liegt auf der Veränderung der Verhaltensweisen zwischen einem senex und einem puer (ne senex eadem velim, quae puer volui). Wichtig sei, dass man jeden Tag als einen Tag erachtet, der das ganze Leben widerspiegeln kann („id ago, ut mihi instar totius vitae dies sit).

Im zweiten Kapitel folgt nun die Auseinandersetzung mit dieser These. Seneca stellt einen Leitfaden aus stoischer Sicht auf („[...] paratus exire sum, et ideo fruar vita [...]“). Man sollte sich im Leben darauf konzentrieren, gut zu leben und im Alter gut und mit Akzeptanz zu sterben (ut bene viverem […] ut bene moriar). Seneca fährt mit der Lebensaufgabe (Da operam, ne quid umquam invitus facias […].“; Kapitel 3) fort und richtet sich dabei nicht nur an Lucilius (römisches Volk), sondern auch an sich selbst (Ita dico […].“  „Itaque sic animum componamus […].“) Für ihn ist es wichtig, frei von Zwängen jeglicher Art zu leben. Seneca stellt sich daher selbst als Aufgabe, die Seele so zusammenzustellen, dass man de, finis vitae ohne jegliche Traurigkeit entgegenblicken kann (ut finem nostri sine tristitia cogitemus).

Im vierten und letzten Abschnitt (Kapitel 4) zieht er ein Fazit. Seneca spielt auf den richtigen Zeitpunkt des Todes eines jeden Menschen an (Ante ad mortem quam ad vitam praeparandi sumus.“ // „[...] ut satis vixerimus, nec anni dec dies faciunt, sed animus.) und räumt ein, auf seinen Eigenen vorbereitet zu sein („[...] mortem plenus expecto.).

Seneca war einer der bekanntesten Vertreter der stoischen Philosophie. Er versuchte in seinen epistulae morales an seinen Freund Lucilius, diesem die Grundprinzipien der Stoa anhand alltäglicher Beispiele zu erklären. Dies tut er auch in diesem Brief. Den wichtigsten Aspekt, dass man zu jeder Zeit und Lebenslage auf den Tod vorbereitet sein soll, erwähnt er gleich zu Beginn („[…] sed sic illum aspicio, tamquam esse vel ultimus possit., Ep. 61,1) und erneut im letzten Abschnitt, um darzustellen, dass das Leben vom Schicksal geleitet wird (Ante ad mortem quam ad vitam praeparandi sumus.", Ep. 61,4). Im Anschluss untermauert er diese Aussage, indem er einen direkten Bezug zu sich selbst, dem „idealen Stoiker“, herstellt (paratus exire sum, Ep. 61,2).
Bekanntlich wird das stoische Leitbild von der Tugend als höchstes Gut (summum bonum) angeführt. Auf dieses kommt er nun zu sprechen, indem er seinem Adressaten erklärt, dass man in jungen Jahren dem tugendhaften Leben nachgehen soll, während man sich im hohen Alter darum bemühen sollte, mit einem tugendhaften Tod ehrenvoll aus dem Leben zu scheiden (Ante senectutem curavi, ut bene viverem, in senectute, ut bene moriar; bene autem mori est libenter mori., Ep. 61,2).
Ein weiterer essentieller Aspekt der stoischen Betrachtung des Todes ist die absolute Freiheit von Zwängen und Befehlen, den Seneca in seine Argumentation mit einbezieht. Dem Leser wird vor Augen geführt, dass man sein Leben überdenken soll, um dies zufrieden führen zu können. (Da operam, ne quid umquam invitus facias, Ep. 61,3).
Die Grundlage für ein zufriedenes Leben nach stoischem Prinzip ist aber nicht nur das Verfolgen eigener Bestrebungen, sondern auch eine erfüllte Seele. Seneca trennt den animus von der zeitlichen Lebenserfahrung (ut satis vixerimus, nec anni nec dies faciunt, sed animus“, Ep.  61,4) und stellt die Erfülltheit des Geistes als Erfolg bringendes Gut dar, um die bereits thematisierte Zufriedenheit im Leben zu erlangen. Abschließend stellt er in Form eines Fazits erneut einen Bezug zu seiner eigenen Person her, indem er seinem Freund Lucilius erzählt, dass er eben diese Zufriedenheit erreicht hat und nun erfüllt seinen Tod erwartet (Vixi, Lucili carissime, quantum satis erat; mortem plenus expecto., Ep. 61,4).

Die Wirkung der Stoa und den Inhalt des Textes genauer betrachtend, fallen einige sprachlich-stilistischen Mittel auf:
Das Polyptoton Quod voluimus, velle(Ep. 61,1) leitet den Brief ein und weckt hiermit direkt am Anfang die Aufmerksamkeit des Lesers. Mithilfe der Antithese „[...], ne senex eadem velim, quae puer volui(Ep. 61,1) verdeutlicht er den Unterschied zwischen dem, was Seneca als alter Mann und als Junge erstreben will. Um seinen stoischen Gedanken zu untermauern, zeigt Seneca mithilfe der Litotes „[...] non nimis pendeo(Ep.61,2) am Ende des Satzes sich als den „idealen Stoiker“.
Daran anknüpfend hat der Autor den Satz Ante senectutem curavi, ut bene viverem, in senectute, ut bene moriar; bene mori autem mori est libenter mori.(Ep.61,2) so konstruiert, dass seine Aussage  sowohl eine Anapher als auch ein Parallelismus (ut bene viverem […], ut bene moriar) als auch ein Hyperbaton („[...] bene autem mori), um stoische Gedanken stilistisch hervorzuheben.
Seneca stellt mit der Litotes  „[...] ne quid umquam [...]“ (Ep. 61,3) den Gedanken, des Überdenkens des Willens, um ein zufriedenes Leben führen zu können, in den Vordergrund.
Der Parallelismus non qui iussus aliquid facit, miser est, sed qui invitus facit. (Ep. 61,3) verdeutlicht in besonderer Weise, dass derjenige, der die Befehle aufnimmt, nicht arm ist im Hinblick auf denjenigen, der es unwillig macht.
Abschließend verdeutlicht das Polyptoton „[...] deesse aliquid nobis videtur et semper videbitur; [...]“ (Ep. 61,4) die Aussage, dass das Fehlen einer unbekannten Sache dem Menschen immer fehlend erscheinen wird.

Abschließend lässt sich sagen, dass Seneca in seinem Brief die Absicht verfolgt, den Adressaten einen Denkanstoß der richtigen” stoischen Lebensführung zu geben, damit diese optimal auf ihr Leben zurückblicken können und auf den Tod vorbereitet sind.

 

Verfasser: Nawid Allahverdi, Sven Kurpierz, Leonie Kolyvas, Carina Weindorf

Latein-Leistungskurs 2012/2013


Seneca, epistulae morales 61

 

Version II

 

Der sowohl als Kunst- bzw. Privatbrief  und Lehrbrief geschriebene Brief Epistula 61 des römischen Stoikers Seneca aus seinem Werk epistulae morales beschäftigt sich mit der Einstellung und Vorbereitung auf den Tod. Der Brief ist vergleichsweise kurz (vier Kapitel), wurde etwa 62-63 n. Chr. verfasst und spricht direkt Lucilius an, richtete sich aber wohl auch an die gesamte damalige römische Oberschicht.

Der Brief gliedert sich in insgesamt vier Textabschnitte, welche den Kapiteleinteilungen entsprechen.

Im ersten Abschnitt fordert Seneca den Leser dazu auf, nicht immer nach denselben Dingen streben zu wollen. Denn immer dasselbe zu wollen, stellt für Seneca einen Stillstand im Leben dar. Er selbst nennt sich dabei als Beispiel und begründet seine Forderung damit, dass man im Alter nicht die gleichen Wünsche haben sollte, wie in der Jugend. Er vertritt die Meinung, dass man jeden Tag so behandeln sollte, als ob es der letzte im Leben sein könnte und, dass daher jeder einzelne Tag einzigartig sein muss.

Im folgenden Abschnitt wendet sich Seneca wieder persönlich an seinen Freund Lucilius. Diesem berichtet er, dass er vor allem während des Schreibens den Tod spüre, der ihm seiner Meinung nach bald bevorsteht. Er sei bereit zu sterben, und da er nicht wisse, wie lange er noch zu leben habe, genieße er das Leben. Darauf erläutert Seneca, dass er, als er noch jung war, dafür gesorgt hat, ein im Sinne der Stoa gutes Leben zu führen, während er sich im Alter darauf vorbereitet hat, gut zu sterben, was für ihn gern zu sterben bedeutet.

Im dritten Textabschnitt gibt Seneca Lucilius den Rat, niemals etwas widerwillig zu tun, da man auf diese Weise dem Schlimmsten entgeht, nämlich etwas unfreiwillig zu tun. Auch ruft er dazu auf, immer das zu wollen, was nötig ist und schließlich ohne Traurigkeit an den eigenen Tod zu denken.

Im letzten Abschnitt kommt Seneca zu seiner wichtigsten Aussage in diesem Brief: Man muss sich früher auf den Tod vorbereiten, als auf das Leben. Eigentlich sei das Leben der Menschen ausgefüllt, doch gierten diese nach immer mehr, da ihnen immer etwas zu fehlen schiene. Des Weiteren macht nicht die Zeit ein Leben aus, sondern die Seele eines Menschen. Ein letztes Mal wiederholt Seneca, dass er ganz und gar auf den Tod vorbereitet ist und diesen erwartet. Damit endet der Brief.

Seit Seneca und der Abfassung der epistulae Morales ist viel Zeit vergangen. Im Laufe der Zeit sind mit der Modernisierung viele Probleme innerhalb der Gesellschaft aufgetreten, die sich zur Zeit Senecas noch nicht gestellt haben. Vor allem in der Medizin gab es große Fortschritte, die zur Heilung von Krankheiten und einer Verlängerung der Lebenszeit eines jeden einzelnen geführt hat. Im Folgenden soll nun der oben vorgestellte Brief Senecas in Hinblick auf das Problem der modernen „ Gerätemedizin“ interpretiert werden.

Wie oben erläutert geht es in Senecas Epistel 61 um die Vorbereitung und die Einstellung zum Thema Tod und was sich daraus ableiten lässt  (,,ad mortem … praeparandi sumus“ Kap. 4). Seneca geht es vor allem darum, dass die Vorbereitung auf den Tod die Beschäftigung mit dem Tod bedeutet. Bei der Interpretation sollte man dabei zwei verschiedene Fälle unterscheiden. Zum einen ist der Umgang mit dem eigenen Tod zum anderen der Umgang mit dem Tod eines Angehörigen getrennt zu betrachten. Zunächst  fordert Seneca aber den Leser grundsätzlich auf, sein Leben zu genießen und sich dabei jeden Tag neue Ziele zu setzen (,,Desinamus, quod voluimus, velle.“ Kap.1). Wir sollen also mit der Gewissheit, dass jeder Tag auch unser Todestag sein könnte jeden Tag  als einzigartig betrachten (,,id ago, ut mihi instat totius vitae dies sit.[…] illum aspicio, tamquam esse vel ultimus possit“ Kap. 1).

Im Zusammenhang dazu soll sich jeder möglichst früh sowohl mit dem eigenen als auch mit dem Tod von Freunden und Angehörigen beschäftigen (,,Ante ad mortem quam ad vitam praeperandi sumus“ Kap.4). Sollte also für uns heute bedeuten, dass auch wir uns früh oder überhaupt mit dem meist totgeschwiegenen Thema Tod beschäftigen sollten. Im Zuge dessen ist vor allem die Möglichkeit einer Patientenverfügung zu nennen. Mit einer solchen kann jeder einzelne im Falle eines Unfalls und damit verbunden z. B. eines Komas bestimmen, wie mit ihm umgegangen werden soll. Also bedeutet es im Extremfall, ob lebenserhaltende Geräte weiterlaufen sollen oder ob sie irgendwann abgestellt werden sollen, was den Tod des Patienten hieße. So eine Verfügung wäre im Sinne Senecas, denn mit ihr beschäftigt man sich ja dann früher oder später mit dem eigenen Tod.

Wenn eine Verfügung aber nicht vorliegt, stellt sich natürlich Frage, wann die Geräte eines Komapatienten abgestellt werden sollten und somit der Tod herbeiführt werden sollte. Nach Senecas Vorstellung zu einem lebenswerten Leben sollte ein Mensch der im Wachkoma liegt noch weiter am Leben gehalten werden, da er geistig noch „funktioniert“. Er ist noch in der Lage zu denken, also lebt er noch und kann sein Ziel  nach der Stoa zu leben erreichen. Solange dieses Ziel erreicht werden kann, ist das Leben lebenswert. Liegt ein Mensch im richtigen Koma, so sind auch diese Funktionen nicht mehr vorhanden. Dieser Mensch kann also sein stoisches Ziel im Leben nicht mehr erreichen und kann daher sterben.

Generell würde sich Seneca aber gegen die heutige Form der Gerätemedizin stellen. Denn man soll die Dinge im Leben wollen, die auf einen zukommen. Auch den eigenen Tod („finem nostri sine tristitia cogitemus“ Kap.3). Ein Mensch der zum Beispiel ohne Beatmungsgerät nicht mehr leben kann, sollte im Sinne Senecas auch nicht beatmet werden. Für diesen Menschen ist der Tod vom Schicksal wohl vorgesehen, also sollte er auch eintreten.

Insgesamt ist Senecas Rat für die heutige Zeit wahrscheinlich: man sollte sich möglichst früh mit dem eigenen Tod und dem Tod anderer beschäftigen. Je früher man dies tut desto eher sieht man dem Tod entspannter entgegen und es bleibt eher gewährleitet, dass man alles, was im Leben kommt, auch genauso will. Im Zuge der Beschäftigung steht aber nicht nur das  Reden und Denken über den Tod sondern auch konkrete Vorbereitungsmaßnahmen für Extremfälle um selbst bei gesundheitlicher Entmündigung  seinen Willen formuliert zu haben. Am Ende steht also das Erlangen von stoischer Ruhe selbst im Angesicht des Todes.

Verfasser: Julia Herbst; Robert Käppeler; Tobias Linden


Seneca, epistulae morales 61

Version III

Der vorliegende Text ist Senecas 61. Brief der epistulae morales. Der Brief wurde ca. zwei bis drei Jahre vor Senecas Tod 65 v. Chr. verfasst und richtet sich an Lucilius, der in allen epistulae morales der Adressat ist. Seneca nutzt in den epistulae morales eine besondere Form des Kunstbriefes, der zwar an die Öffentlichkeit gerichtet war, jedoch Lucilius persönlich mit einbezieht. In dem Brief beschreibt Seneca, wie man die Seele schulen soll, um gut und in Frieden sterben zu können, da gut zu sterben gern zu sterben bedeutet. Dies setzt jedoch voraus, dass man mit seinem Leben abgeschlossen hat und, wie Seneca, als alter Mann nicht mehr die Dinge erreichen möchte, die man als Junger wollte. Seneca erklärt des weiteren Lucilius, dass es nicht relevant ist, wie viele Jahre man gelebt hat, sondern dass einzig und allein die Seele dafür verantwortlich ist, dass man zufrieden gelebt hat.

 Formal lässt sich der Brief in vier Abschnitte gliedern:

Im 1. Abschnitt, der eine Einleitung ins Thema bietet, zeigt Seneca dem Leser seine Sicht zum allgemeinen Umgang mit dem Tod: Man soll jeden Tag wie seinen letzten leben. (1)

Im 2. Abschnitt nimmt Seneca direkteren Bezug zum Titel, indem er seine persönliche Ansicht zur Situation darlegt und zwar dass er selbst bereit ist jeden Augenblick zu sterben und dass er deswegen sein restliches Leben umso mehr genießen kann. (2)

Im 3. Abschnitt gibt Seneca Ratschläge, wie man mit der Seele zu derselben Einstellung wie er kommen kann. Dies tut er vor allem durch einen Vergleich zwischen dem geordneten Leben und dem Tod. (3)

Im 4. und letzten Abschnitt schließt Seneca den Brief mit seinem Fazit ab. Es sagt, dass man den Tod mehr als das Leben überdenken soll und dass alles im Bezug auf den Tod in der Seele geschieht. (4)

In seinem Brief beschreibt und lehrt Seneca seine stoische Haltung gegenüber dem Tod, indem er Lucilius dazu ermutigt den Tod hinzunehmen und somit sein Schicksal zu akzeptieren, anstatt dagegen anzukämpfen. Erweist ihn an, sein Leben zu genießen und jeden Tag so zu leben als wäre es der letze, damit man am Ende nicht denkt, man hätte etwas verpasst. Denn es kommt nicht auf die Dauer des Lebens an, sondern auf die Art, wie man gelebt hat.
Auch im Epikureismus wird viel Wert auf die Art und Weise zu leben gelegt, um das höchste Glück zu erlangen. Durch den Drang ihr Leben zu genießen, leben die Epikureer meist ohne jegliche Todesfurcht, obwohl nach dem Tod, laut Epikur, die Seele und der Körper des Menschen in ihre Bestandteile auflösen und somit für den Menschen als Individuum alles zu Ende ist. Epikur sagt, dass der Tod ein Nichts sei, denn solange man lebe, sei der Tod nicht da und sobald der Tod erscheine, sind wir nicht mehr anwesend. („wer eingesehen hat, dass Nichtleben nichts Schreckliches ist, hat keine Angst mehr zu leben“ aus Epikurs Brief an Menoikeus).

Die Philosophien im alten Rom beschäftigen sich häufig mit dem Tod und dem Sterben und geben Ratschläge, wie man damit umzugehen hat. Ein Grund dafür ist, dass im antiken Rom der Tod allgegenwärtig war. Da der Tod so präsent war, musste die Philosophie den Menschen einen Weg bieten, wie sie damit zurechtkommen konnten.  

Wer das frühere Leben Senecas betrachtet, das unter anderem eine steile Beamtenlaufbahn (cursus honorum) vom Quaestor über den Praetor zum Konsul beinhaltet, könnte sich fragen, wie dies zum Leben in der Abgeschiedenheit und auch zu den philosophischen Inhalten der epistulae morales passt: Auf der einen Seite steht das Streben nach immer mehr Einfluss und Anerkennung, auf der anderen Seite der Ratschlag nicht nach dem Vielen, sondern lediglich nach dem Genügenden zu streben. Beginnt Seneca also nach seinem Zwangsexil auf ein Landgut sich seine Lebensumstände unter anderem mit Epistel 61 der epistulae morales schön zureden? Oder anders gesagt: Kann Seneca unter Berücksichtigung seiner Vergangenheit überhaupt hinter den philosophischen Thesen stehen, die er hier aufstellt? Das gilt es im Folgenden zu überprüfen.

Für ein derartiges Vorgehen Senecas spricht, wie bereits erwähnt, die mangelnde Korrelation zwischen Senecas früherem Leben und sein Leben in der Abgeschiedenheit. Vor diesem Lebensabschnitt hat Seneca nämlich sicher nicht so gelebt, "wie es genügend war" (4). Auch sonst wirkt der Brief vor seinem biographischen Hintergrund nicht sonderlich authentisch, sondern so also wolle Seneca seine missliche Situation, aus der er keinen Ausweg sieht, ins rechte Licht rücken. Man muss vermuten, das Seneca von seinem Zwang zum Selbstmord entweder schon weiß oder etwas Ähnliches ahnt. Hierauf deuten zum Beispiel Kapitel 3 hin ("qui imperia libens excipit, partem acerbissimam servitutis effugit, facere quod nolit"). Hier weist Seneca darauf hin, dass das Ausführen von Befehlen keineswegs schlimm sei, wenn man hinter diesen stünde. Diese Aussage wirkt vor dem Hintergrund der ausweglosen Situation wie ein Versuch, seine Situation zu beschönigen. Gegen die Vermutung, dass Seneca seine Lebenssituation lediglich versucht mit überschwänglichem Optimismus zu sehen, spricht erstens die Schnittmenge, die zwischen seinen beiden Lebensarten besteht, nämlich das Streben nach virtus. Diese lässt sich sowohl mit seiner Ämterlaufbahn, als auch mit seinen stoischen Lebensansätzen vereinbaren. Zweitens korreliert sein Aussage "ante senectutem curavi, ut bene viverem, in senectute, ut bene moriar;" (2) mit seiner veränderten Lebenssituation ebenfalls sehr gut. Sein kühner Umgang mit dem Tod ("mortem plenus expecto" (4) fügt sich so gut ins Gesamtbild ein.

Hier könnten auch die Werke weiterhelfen, die Seneca bereits vor seinem Exil verfasste. Hier stehen Schriften wie "De Clementia" oder "De vita beata", in der Seneca das Leben im Einklang mit der Natur propagiert. Diese haben bereits sehr stoische Ansätze. Das spräche also auch dagegen, dass der stoische Gedanke, mit dem Genügenden zufrieden zu sein, lediglich zum Trost aus der Not geboren wurde.

Insgesamt könnte man auf dieser Grundlage annehmen, dass Seneca auch ohne seine misslich Lage derartige Schriften verfasst hätte, sie also nicht nur einer optimistischen Sich auf sein Leben gedient haben. Somit müsste Seneca auch hinter seinen Thesen gestanden haben. Dafür sprächen erstens die Schnittmengen zwischen seinem früheren Leben und seinen Schriften und zweitens sein stoischer Grundgedanke, der sich wie ein roter Faden durch sein Leben zieht. Trotzdem wäre es auch möglich, dass Seneca nicht plötzlich, da er gezwungen ist, Rom zu verlassen, anfängt, derart viel zu philosophieren. Zum einen hat er nun natürlich mehr Zeit für das Schreiben gehabt. Zum anderen musste er vermutlich, selbst wenn er sich auf stoische Art und Weise seinem Schicksal gefügt hat, die Situation mithilfe des Schreibens erst einmal verkraften. Philosophie könnte man in Senecas Situation also als Trostspender verstehen.

 Verfasser: Merlin Hoffknecht, Marcel Reitmayer, Nathalie Röhling